Um es gleich vorweg zu nehmen: Bäume und Affen gab es nicht bei unserem Lehrgang mit Iain Abernethy (7. Dan) in Grünwald. Doch dazu später! Dafür bot Iain am zweiten Januar-Wochenende 2020 solides und praktisches Bunkai (Anwendungen) der Kata Unsu zur Selbstverteidigung an. Die Rückmeldungen der zwei Tage ergaben daher Begeisterung, Enthusiasmus und am Ende ein „ich bin nun ganz schön fix und fertig. Jeder Knochen tut weh“! Die Karateka, die diesen zweitägigen Marathon aus Schlägen, Hebeln, Würfen und Spaß mit höchster Konzentration mitmachten, kamen nicht nur aus Bayern, sondern auch von weit jenseits der Donau, aus der Schweiz, den Niederlanden, Österreich, England und sogar aus Finnland.

Die Kata Unsu mit ihren anspruchsvollen Techniken und Abläufen wird sonst bei vielen Wettkämpfen präsentiert. Sie ist eine große Herausforderung und nach dem hohen, gelungenen 360 Grad-Sprung erhalten die Wettkämpfer_innen oft Sonderapplaus noch vor dem Ende. Die Teilnehmer waren voller Erwartung und höchst neugierig auf das anwendungsorientierte Bunkai, das sich Iain für das Wochenende ausgedacht hatte. Er selber hatte die Unsu bisher nur einmal in Australien gelehrt. So betraten wir mit ihm gemeinsam europäisches Neuland. Iain unterteilte jede Sequenz in viele, kleine Schritte, so dass wir uns von Bewegung zu Bewegung langsam in der Unsu voranarbeiten konnten. Linker Arm hoch, um den Schlag von innen abzuwehren, rechter Arm unterhalb in das Kreuz der beiden Arme, des Gegners Arm greifen, Stellung um 45 Grad nach außen drehen; gestreckter Hebel und Ren Tsuki (Doppelschlag). Fertig – wieder war eine Sequenz aus dieser komplizierten Kata gelernt.

Nun doch: die Affen treten auf. Wer als Karateka bei diesem Seminar dachte: „Perfekt, das klappt ja wunderbar mit meinem Bunkai der Unsu.“, der wurde gelegentlich eines Besseren belehrt. Ein Griff gelang nicht, man stand im falschen Winkel bei einem Wurf, die Hüfte war zu hoch, man schlug unter statt über dem Arm – kurz: Chaos schlich sich in das Bunkai. Nichts klappte mehr. Zum Trost, dass selbst ein perfektes Bunkai kläglich scheiterten könnte, hatte Iain ein Kotowaza (jap.; Sprichwort) bereit: „Even Monkeys fall from Trees.“ So sehr wir an unserem Perfektionismus arbeiteten, es bleibt nicht ausgeschlossen, das wir ungenügend schlugen oder zugriffen, der Gegner sich anders bewegte … und schon fiel der Affe aus dem Baum.

Die Kata Unsu kam uns gelegentlich zur Hilfe. Klappte das erste Bunkai in Sequenz eins nicht, dann war die Kata so großzügig, um mit Sequenz zwei diesen Schmach auszubügeln, und ging dies schief, na ja, die Unsu hatte ja noch die dritte Sequenz in Folge, um endlich alles zurichten (z.B. die beiden Drehungen incl. Kage Zuki vor dem Sprung). Um im Bild zu bleiben: Die Affen klammerten sich nach kurzen Fall schnell an die nächsten Äste. 

Iain Abernethy teilte das Erlernen einer Kata in vier Phasen ein. Phase eins: die Feinform und der Ablauf als „Kalter Kampf“. Zweitens: das Bunkai, wobei er kein sakrosanktes Bunkai kennt.  Noch heißer: der Karateka versteht die Prinzipien der Kata,  z.B. am Anfang der Unsu, Kopf schützen und angreifen, und wendet sie an. Viertens, die heiße Phase: Kata-Based-Sparring. Diese heiße Phase kam am Sonntag. Wir trainierten nun auch mit Pratzen und suchten uns einen Abschnitt aus der Kata heraus, z.B. die Tritte, und praktizierten den eng an die Unsu angelehnten, kontrollierten Freikampf. Ziele waren Kniegelenke, Schienbeine, Köpfe auf Bodenhöhe und Fegewürfe von Funakoshi Gichin (1868-1957).

Meister Tatsuo Suzuki (Wado Ryu; 1928-2011) hätte, wie auch Iain an diesem Sonntag im Januar, seine Freude in Grünwald gehabt. Suzuki liebte Schienbeintreten und Kopfstöße; er begeisterte sich  für das englische Cornish Shin Kicking (Schienbeintreten), das seit dem 17. Jahrhundert ausgetragen wird. Heutzutage tritt man auf der Insel zwar nicht mehr wie früher mit Holzschuhen gegen die Schienbeine des Gegners, sondern füllt zum Schutz lange Socken mit Stroh und tritt dann zu, bis der Gegner aufgibt.

Zum Schluß erhielt die Karateabteilung im TSV Grünwald noch viel Lob für Organisation, Buffett und eine tolle, allgemeine Lehrgangs-Atmosphäre. Grund genug 2021, am 16. und 17. Januar, wieder mit Iain Abernethy am Bunkai der beiden Gojushiho Katas und dem eigenen Perfektionismus zu feilen. Anmeldungen zu diesem Lehrgang mit Iain Abernethy sind spätesten ab Mitte Februar 2020 über unsere Webseite >https://www.karate-gruenwald.de< möglich.  

Peter Henkel

Gruppenfoto Lehrgangsteilnehmer

Knapp 70 Teilnehmer beim Karatelehrgang mit Iain Abernethy (Foto: Peter Henkel)

Iain zeigt einen Pad-Drill der Unsu
Am zweiten Tag wurde das Bunkai mit den Hitting-Pads (Hand-Makiwara) geübt (Foto: Peter Henkel)

Iain erklärt eine Bunkai-Sequenz
Verteidigung zu einer Sequenz am Anfang (Foto: Peter Henkel)

 

 

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